„Krrrrrkkk!“ Die Löwin beißt mühelos durch den Oberschenkel des Esels. Durch auf den Knochen. Es knirscht herrlich schauerlich. Kein Grund zur Beunruhigung, wenn man vor dem Zaun im Zoo steht. Wenn. Wir sind aber nicht im Zoo. Wir sind in Simbabwe. Hier in Victoria Falls hat die Organisation „Lion Encounter“ ihren Sitz. Das Löwenschutz-Programm bietet Spaziergänge mit den majestätischen Raubkatzen an. Der „Lions Walk“ soll Gelder für das Projekt generieren. Wir haben den Walk gewagt…
Ganz schön große Kätzchen
Ranger Paul empfängt uns herzlich, aber auch ein bisschen streng. „Please read the rules“. Wir müssen uns zunächst mit den Regeln für den Umgang mit den Löwen vertraut machen, einige davon:
- Niemals dem Löwen in die Augen sehen.
- Nicht rennen, keine hastigen Bewegungen.
- Nicht ohne Aufforderung hinknien.
- Selbstbewusstsein ausstrahlen.
- Dem Löwen nie von vorn begegnen oder ihm im Weg stehen.
Wir lernen eifrig die Gebote und suchen uns einen „Gehstock“ aus. Mit ihm und einem kraftvollen „No!“ sollen wir im Falle des Falles eine erste Abwehr starten. All diese Vorkehrungen machen uns nicht mutiger, sondern eher noch vorsichtiger. Dann gehen wir los. Ein Fährtensucher mit Gewehr marschiert voraus. Von Paul erfahren wir, dass die Flinte eher für andere große Tiere wie Büffel gedacht ist. Die sind nämlich wirklich aggressiv. Ein Spaziergang mit einem Büffel fällt in der Regel extrem kurz aus – zurück wird man getragen, meist mit den Füßen voraus.
Wir denken noch kurz an das Papier, was wir unterschreiben mussten. Schon so oft auf unseren Reisen haben wir in solchen Kurzerklärungen auf jegliche Haftung und Ansprüche verzichtet – Fallschirm, Weißhai-Tauchen, Bungee, Wasserfall-Experimente. Und auch hier unterzeichnen wir, dass ein angeknusperter Schenkel unser Problem ist.
Die Löwen halten Hof, königlich halt
Da! Wir schleichen fast als wir die wippenden Pinsel, die Schwanzspitzen der Löwen, im Gras entdecken. Das Geschwisterpärchen Phezulu (Männchen) und Pendo (Weibchen) blinzelt mit den Augen in Richtung Besucher. Die Löwen erwarten uns schon. Sie halten hier Hof, königlich halt. Wir senken die Köpfe und umklammern die Stöcke, ein kräftiges „No!“ immer direkt hinter den Zähnen. Doch das brauchen wir gar nicht.
Um uns herum sind sieben Guides. Fährtenleser, Löwenflüsterer, Ranger. Sie dirigieren uns, nicht die Tiere. Denn die machen weder Männchen noch lustige Kunststückchen. Wir sind im afrikanischen Busch, nicht in der Manege. Hier hat das Tier das Sagen.
Phezulu steht auf, wir dürfen den Löwen sogar streicheln. Unfassbar, wie groß diese zwei Jahre alte Katze jetzt schon ist. Ein Blick auf die riesigen Pranken verrät – der Löwe wächst noch. Schon in wenigen Monaten wird ein Spaziergang mit diesen Löwen nicht mehr möglich sein. Sie sind dann wirklich zu groß und zu gefährlich für den Umgang mit Touristen.
Lions Walk – Spaziergang mit Löwen
Die Löwen laufen los. Und wir hinterher. Wir erfahren viel über diese majestätischen Katzen. Das größte Landraubtier Afrikas wurde lange Zeit stark dezimiert. Jäger vernichteten über Jahrzehnte bis zu 70 Prozent der Population. Die Organisation Lion Alert spricht von 43 Prozent Verlusten seit 1993.
Dagegen will das Projekt Lion Encounter etwas tun. Hier werden Löwen aufgezogen und dann in drei Stufen ausgewildert: Zunächst zieht man die Kätzchen groß, bis sie 18 Monate alt sind. Dann werden sie in ein beobachtetes Wildreservat gebracht, lernen alle Skills wilder Löwen. Wenn sie sich selbst ernähren können, kommen die Löwen dann in ihr endgültiges Habitat, ein riesiges Gebiet rund 700 Kilometer entfernt. Freiheit. Dort gibt es überhaupt keinen Kontakt mehr zu Menschen.
Warum überhaupt eine Attraktion wie „Lions Walk“?
Nur die wenigsten Tiere – wie eben Phezulu und Pendo – sind für die Walks geeignet und werden dafür eingesetzt. Sie sollen zahlende Besucher anlocken, um das Projekt zu unterstützen. So ein Walk ist auch nichts für die Touri-Massen, die es in Simbabwe ohnehin nicht gibt. Denn ein Spaziergang schlägt mit rund 150 Euro zu Buche – eine Menge Geld. 70 Prozent davon gehen laut Betreiberangaben in das Projekt selbst, der Rest für Verwaltung, Angestellte, Werbung etc.
Während des Walks sprechen wir auch mit Freiwilligen aus aller Welt, die hier unentgeltlich mithelfen. Eine von ihnen ist die Deutsche Claudia. Sie alle haben einen tieferen Einblick hinter die Kulissen und äußern sich lobend über „Lion Encounter“. Hier scheint der Schutz der Tiere oberste Priorität zu haben. Es sei zu verschmerzen, dass die wenigen Tiere als Lockmittel für Touristen eingesetzt würden.
Gerüchte, dass die hier aufgezogenen Löwen nur freigelassen werden, um später von zahlenden Jägern abgeschossen zu werden, machen die Helfer hier ernsthaft wütend. Aber in der Tat ist die Jagdindustrie sehr stark in dieser Region. Nur eine Woche, nachdem der berühmte Löwe Cecil von einem amerikanischen Dummdentisten abgeknallt wurde, lockerte die Regierung das eilig verhängte Jagdverbot wieder (Quelle). Das benachbarte Sambia bleibt seit 2013 stark – es ist verboten, Löwen und Leoparden zu jagen.
Wir alle sind uns einig: Tiere gehören nicht in einen Zirkus. Sie gehören in die Freiheit. Sie sollten nicht an Menschen gewöhnt und für monetäre Zwecke eingesetzt werden. Doch das Geschwisterpärchen hier macht auf uns und die Freiwilligen keinen genötigten oder gar gequälten Eindruck. Immer wieder genießen sie das Spiel miteinander. Sie geben hier den Ton an, nicht die Menschen. Wer mehr über die das Projekt erfahren möchte kann sich die Websites von Lion Encounter und Lion Alert anschauen und selbst urteilen.
Wir haben einen sehr guten Eindruck vom Projekt gewonnen. Und leider ist es einleuchtend – keine Aufmerksamkeit, kein Geld. Ohne Geld kein Tierschutz.
Auf jeden Fall ist die hautnahe Begegnung mit den Löwen ein ganz besonderes Ereignis. Wir waren berührt und beeindruckt. Der Schutz der Löwen liegt uns jetzt noch mehr am Herzen.